Zwei Dörfer
standen im Weg
Schmarren
und Solthörn mußten 1967 dem Neubau des Deiches weichen
Sang- und
klanglos verschwanden vor 25 iahren zwei kleine Dörfer im
Lande Wursten. In ihrer Sozialstruktur waren sie ebenso einmalig
wie in ihrer Idylle. Die Rede ist von Schmarren und Solthörn,
zwei originelle Fischerdörfer an der deutschen Nordseeküste.
Bis zuletzt
wurde hier noch die Granatfischerei ohne Boot und Netz betrieben.
Mit einem von Hunden gezogenen schlittenartigen Gefährt fuhren
die Fischer von Frühjahr bis Herbst bei fast jeder Ebbe zu
ihren am Prielrand aufgestellten Weidefangkörben. Dort leerten
sie die Reusen von den Granat, die vom Ebbstrom in das urtümliche
Fanggerät getrieben wurden.
Was sich
in Schmarren und Solthörn an kleinen und großen Häusern
bis vor einem halben Jahrhundert so idyllisch an den Güldenen
Ring" von 1849 kuschelte, mußte dem Deichneubau weichen.
Der alte grüne Damm gegen den blanken Hans war bei der Sturmflut
im Februar 1962 schwer angeschlagen worden.
Wilhelm
Matull, einer der letzten Wurster Reusenfischer, nannte den neuen
Deich, der von Süden her in Richtung Schmarren gebaut wurde,
den grooden Lindwurm, de allens freeten deit". Der
weitaus höhere und breitere neue Deich benötigte viel
Platz.
Hollings
Hof in Schmarren schmiegte sich eng an den Seedeich. Als der neue
Deich gebaut wurde,
war er für die Techniker ein "Steh-im-Weg" und
mußte abgebrochen werden.
Das, was Wilhelm Matull befürchtet hatte, sollte sich bewahrheiten.
Eine Tages ging es wie ein Lauffeuer durch den Ort: Schmarren
schall afreten warn. Se bruulrt Platz for den neen Diek."
Se", das waren die Deichbauer und die Ingenieure des
damaligen Wasserwirtschansamtes Stade, Bauabteilung Land Wursten.
Es wurde gezeichnet und gerechnet, und dann stand es fest: Schmarren
und wohl später auch Solthörn müssen verschwinden:
Steh-im-Wege für den neuen Deich. Verhandlungen und öffentliche
Versammlungen fanden statt; und dann stand das Resultat fest "Schmarren
muß weichen!"
Die Nordsee-Zeitung schrieb
1967: Die Deichbautechniker haben sich die Akte 'Deichbau
Schmarren' immer wieder angesehen und haben immer wieder über
Möglichkeiten diskutiert, den so schön am Deich gelegenen
Ort zu erhalten. Diplomingenieur Szwillus von der Bauabteilung
Land Wursten des Wasserwirtschaftsamtes Stade erklärte vor
ein paar Monaten: 'Wir könnten den Deich in einem Bogen westlich
von Schmarren um den Ort herum legen, dann jedoch wird dem blanken
Hans eine ideale Angriffsfläche geboten. Es darf beim Deichbau
keine Ecken und Bögen geben. Somit muß Schmarren weichen."
Viele Jahre
nach Vollendung des Deichbaues im mittleren Teil Wurstens gab
es kritische Stimmen. Viele meinten, darunter auch Fachleute,
die Deichbauer hätten doch in einem Bogen zum Wattenmeer
hin um Schmarren herumbauen können, das wäre technisch
möglich gewesen. Die Kosten der Umsiedlung, viele Schmarrener
ließen sich neue Häuser in Wursten bauen bauen, hätten
gespart werden können. Viel teurer wäre die Einbeziehung
Schmarrens nicht geworden, vor allem hätte man bei einem
größeren Deichbogen keine zu großen Angriffsflächen
des Wasser gehabt.
Nun, Schmarrens
idyllischer Ortskern ist dahin. Wie Riesentiere aus Urzeiten schlugen
die Greifer der Bagger polternd und krachend in zum Teil neue
Häuser. Krallten sich in dicke Balken und rissen mit einem
Ruck schwere Tragebalken aus den Fassungen. Donnernd krachte als
eines der ersten Häuser das des Einwohners Erwin Harms zusammen,
es lag nur wenige Meter vom Deich entfernt.
Die
Dorfstraße von Schmarren, kurz nach Beginn der Abbrucharbeiten.
Bald sah
man nicht nur Trümmerreste von zahlreichen kleineren Gebäuden,
auch von dem großen Hof von Holling blieben zerrissene Mauern
und Reetdächer. Das war der Hof im Lande Wursten, der als
einziger unmittelbar am Seedeich lag, ja, sich geradezu
in den Seedeich kuschelte", wie die niederdeutsche Schriftstellerin
Alma Rogge einmal schrieb. Auch die 1911 gebaute Schule mit Lehrerwohnung
wurde mit Hilfe von den Baggern niedergerissen.
Wahrzeichen
verschwand
Solthörn
lag dort, wo neuer und alter Deich zusammenstießen, der
alte Deich' ist inzwischen auch verschwunden. Das kleine Fischerdorf
verlor durch den Deichbau seinen charakteristischen Ortskern,
und, was die viele Wurster bedauerten in jenem Jahr 1967, auch
noch seinen alten Leuchtturm. Das hatte zwar nichts mit dem Deichbau
zu tun, aber mit diesem Turm; der damals als Leuchtfeuer schon
vierzig Jahre ausgedient hatte, verschwand leider ein Wahrzeichen
Wurstens.
Döntjes
für die Gäste
So manche
Döntjes wurden von Schmarrener Fischern erzählt. So
wollte im Sommer 1937 ein Bremer Badegast von einem Schmarrener
Fischer wissen, der mit seinen Hunden von Fangfahrt heimkam: Mensch,wo
kommen Sie denn her so mitten aus dem Watt?" Der Fischer
zeigte mit ausgestrecktem Arm auf einen weit draußen in
der Weser stehenden Leuchtturm: Da komme ich her, von dem
alten Leuchturm. Da mache ich jeden Abend das Licht an und jeden
Morgen mache ich es wieder aus."
Der erstaunt dreinblickende Gast schüttelte den Kopf: Mein
Gott, wie seid ihr rückständig im Lande Wursten. Nicht
einmal einen Leuchtturmwärter könnt ihr euch leisten!"
Eisernen
Justav" gab es zweimal
1888
strahlte erstes Leuchtfeuer am Deich
Feriengäste
aus Berlin nannten den schwarzen Turm von Solthörn den »eisernen
Justav". Das bezog sich weniger auf das Bauwerk als auf den
Landwirt Gustav Ehlers. der in umittelbarer Nähe des Leuchtturms
wohnte und sich eisern weigerte, wegen des neuens Seedeiches seine
Scheune abreißen zu lassen. Später mußte er doch
nachgeben.
Foto
von 1910: Der "Petroleumkocher" Solthörn alt (rechts)
und der ganz in Weiß gehaltene neue Turm von 1906,
der 1967 wegen Baufälligkeit gesprengt wurde.
Der, Solthömer Leuchtturm war auch ein eiserner Justav",
denn immerhin war sein Licht schon vierzig Jahre erloschen, ehe
die Sprengpatronen an seine dicken Mauern angelegt wurden. So
überstand er vier Jahrzehnte nach seiner Pensionierung".
Das Fahrwasser der Weser war nach dem Ersten Weltkrieg weiter
nach Westen verlegt worden, und man brauchte das Richtfeuer von
Solthörn nicht mehr. Das bedauerten die Solthörner:
Wi harrn to de Tied jümmer Licht ob 'n Weg."
Im Sommer
1888 erstrahlte das erste Leuchtfeuer über den Seedeich.
Dieser Petroleumkocher", so nannten ihn die Wurster
ein wenig verächtlich, wies bis 1905 den Schiffen den Weg,
dann wachte der Steinerne" über die Schiffahrtsstraße.
Obwohl der Petroleumkocher" ausgedient hatte, stand
er noch lange Zeit gemeinsam mit dem schwarzen Turm in Solthörn,
ehe er während des Erstens Weltkrieges abgebrochen wurde.
Das Solthörner
Feuer war ein sogenanntes Quermarkenfeuer, das, in mehrere weiße
und rote Sektoren geteilt, den Schiffen den Weg wies. Früher
machte das Weser-Fahrwasser oberhalb von Solthöm einen scharfen
Knick nach Nordwesten, vorbei an Eversand führte der Weg
über das Dwarsgatt direkt in die Nordsee. J. F.
Der, Solthömer
Leuchtturm war auch ein eiserner Justav", denn immerhin
war sein Licht schon vierzig Jahre erloschen, ehe die Sprengpatronen
an seine dicken Mauern angelegt wurden. So überstand er vier
Jahrzehnte nach seiner Pensionierung".
Das Fahrwasser der Weser war nach dem Ersten Weltkrieg weiter
nach Westen verlegt worden, und man brauchte das Richtfeuer von
Solthörn nicht mehr. Das bedauerten die Solthörner:
Wi harrn to de Tied jümmer Licht ob 'n Weg."
Im Sommer 1888 erstrahlte das erste Leuchtfeuer über den
Seedeich. Dieser Petroleumkocher", so nannten ihn die
Wurster ein wenig verächtlich, wies bis 1905 den Schiffen
den Weg, dann wachte der Steinerne" über die Schiffahrtsstraße.
Obwohl der Petroleumkocher" ausgedient hatte, stand
er noch lange Zeit gemeinsam mit dem schwarzen Turm in Solthörn,
ehe er während des Erstens Weltkrieges abgebrochen wurde.
Das Solthörner
Feuer war ein sogenanntes Quermarkenfeuer, das, in mehrere weiße
und rote Sektoren geteilt, den Schiffen den Weg wies. Früher
machte das Weser-Fahrwasser oberhalb von Solthöm einen scharfen
Knick nach Nordwesten, vorbei an Eversand führte der Weg
über das Dwarsgatt direkt in die Nordsee.
Quelle:
Nordsee-Zeitung vom 9.10.1992, Autor: Johann Friedrich
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