Bet-Glocke
- Sanierung
Zweimal löschten
Blitze den brennenden Turm
Wremens
Kirchturm bald im neuen Tuffsteinkleid - Rund 300 Jahre alt
Wenn vor dem Zweiten Weltkrieg
Besucher den mächtigen Wremer Tuffstein-Kirchturm bewunderten,
begrüßte sie manchmal das Wremer Original, der Küster
Heinrich Uphoff. Augenzwinkernd erzählte er in einem Gemisch
aus Hoch und Platt, daß sie vor einem Gebäude
besonderer Art" stehen. Und wichtig fügte er hinzu:
Hier hat sich vielleicht das gediegenste Naturwunder auf
der ganzen Welt abgespielt; und das gleich zweimal! Denken Se
mal: Tweemal löschte der nachfolgende Blitz mit Donnergetöse
dat entfachte Feuer von dem ersten Blitz!" Das sei keine
Sage, wahrhaftig passiert betonte er und unterstrich: allens
in de twintig Pund swore Chronik von meinem Pastor nachzulesen",
womit er die von Pastor Möller vorbildlich geführte
Wremer Ortschronik meinte. Für wichtig hielt er es auch,
seinen Zuhörern die Geschichte von den eigenartigen
Rillen" zu erzählen, die sich im Findlingsgestein auf
der Westseite des Turmes befinden. Robert Wiebalk behauptet im
Band 7 des Morgenstern-Jahrbuches von diesen rillenartigen Formen
im Gestein, daß dort einst die Waffen geweiht und
gewetzt worden sind". Heinrich Uphoff hatte da seine eigene
Version: So wi mi öle Lüüd vertellt hebbt,
hett de Düvel sik 'n armen Sünner holt und dorbi sind
siene Krallen an de Tornwand vorbischürt!"
Nicht mehr lange, und die
gründlichen und umfangreichen Arbeiten am Wremer Kirchturm
werden 1990 beendet sein. Das seit vielen Monaten den ganzen Turm
umgebende Gerüst wird verschwinden, und der schönste
Kirchturm des Landes Wursten, ja, der ganzen Küste",
so die niederdeutsche Dichterin Alma Rogge bei einem Besuch in
Wremen 1949, ragt im völlig renovierten Tuffsteinkleid"
über Dorf, Marsch und Deich. Das rund 800 Jahre alte Bauwerk
hat im Laufe seiner Geschichte schwerste und schwere Unwetter
überstanden. Und auch jenen menschlichen Kraftakt"
1914, als es auf Geheiß der Kaiserlichen Marine wegen des
Krieges mit England von 50 Meter Höhe auf 19 Meter Höhe
abgetragen werden mußte. Das war nach Ansicht des Militärs
aus strategischen Gründen notwendig, denn die englische Marine
sollte den Turm nicht als Landmarkierung nutzen.
Als der jüdische Viehhändler
Samuel E. Kuefer aus dem damaligen Lehe vor der Colpeschen Gastwirtschaft
den Kleinbauern und Küster Friedrich Wollweber traf, das
war in den ersten Augusttagen 1914, deutete er mit dem Handstock
auf den Kirchturm, von dem zehn bis fünfzehn Arbeiter Schindeln
und Balken herunterwarfen. Kuefer nahm seine Zigarre aus dem Mund
und sagte mit seiner tiefen Stimme: Wollweber, Wollweber,
wie ihr Christen mit dem Fingerzeig Gottes umgeht! Das bedeutet
nichts Gutes!" Wie recht sollte er haben!
Wremens damaliger Pastor
Martin Rehm hatte zuvor alles versucht, um den Teilabbruch des
Turmes zu verhindern. Auch Küster Friedrich Wollweber, im
Dorf als Gemütsmensch bekannt, weigerte sich standhaft, dem
aufdringlichen Oberst den Schlüssel zur Turmtür auszuhändigen.
Erst als der beleibte hohe Offizier ihn mit hochrotem Kopf anbrüllte:
Mann, wir haben Krieg! Schlüssel her,
oder Sie werden erschossen!" lächelte Wollweber den
Mann an und entgegnete gelassen und ohne Furcht zu zeigen in Platt:
Dodscheten lohnt nicht! Szüh, Herr Oberst, wie mööt
noch Korn meihn! Hier hebbt Se den Schlödel! Nun makt wat
se wöllt!"
Es hat viel Mühe gekostet,
nach dem verlorenen Krieg alle bürokratischen Hindernisse,
die Inflation und die Kapitalnot zu überwinden, um aus dem
traurigen Turmstumpf wieder einen mächtigen ansehnlichen
Kirchturm entstehen zu lassen.
Als der neue Turm"
1930 endlich feierlich eingeweiht wurde, sah man auf dem Helm
das in früherem Jahrhundert schon so sehnlichst gewünschte
Kupfer statt der Schindeln. Aus Eifel-Tuffsteinen erbaut
das Material wurde wahrscheinlich per Schiff herangeschafft
ist der Turm um 1175 erbaut worden. Das jedenfalls ist die Meinung
der Kunstgelehrten. Baudirektor Oskar Kieker stützt sich
als Beweis auf das im untersten Stockwerk vorhandene Kreuzgewölbe,
auch Tonnengewölbe genannt: Rein romanische Baukunst
nach römischer Art!" Robert Wiebalck bemerkt im Morgenstern-Jahrbuch
II,
Seite 39: »Die älteste Kirche scheint den Bauformen
nach zu urteilen, die Kirche in Wremen im Lande Wursten zu sein!"
Der Turm (9 x 9 m) ruht auf einer 2,70 Meter dicken Findlingsmauer,
die über 4 Meter tief in der Wurt liegt. Für den Konsistorialbaumeister
Prof. Mohrmann von der Technischen Hochschule Hannover stand bei
einer Begutachtung 1914 fest: Der Turm hat Über 700 Jahre
gestanden, er wird auch noch weitere 700 Jahre stehen!" Für
die Wremer war das 50 Meter hohe Bauwerk nicht nur Zufluchtsstätte,
wenn Sturmseen den Deich durchbrochen hatten, es war auch Schutzstätte
vor den Soldateska, die leider zu oft in das reiche Marschenland
einfielen.
Pastor Johann Möller
schreibt in der Wurster Zeitung vom 23. September 1930: Ob
sich auch im unteren Gewölbe dieses Turmes wie in Blexen
und anscheinend auch im Padingbütteler Turm ein Brunnen zur
Trinkwasserversorgung in Belagerungszeiten befand, ist nicht auszumachen.
Jedoch verliehen die schmalen Lichtschlitze in den unteren drei
Turmgeschossen, die von verschiedenen Forschern als Schießscharten
gedeutet werden, ein wahrhaftes Gepräge. Auf die Wehrhaftigkeit
des Turmes deutet auch ein 90 Zentimeter hoher, jetzt zugemauerter
Tunnel in der Südostecke des Turmes hin."
Wiebalck spricht im Niederdeutschen
Heimatblatt vom Bergfried der alten kirchlichen ,Seeburg'
Wremen". Verlustreich für Wurstens Bauern war die Schlacht
unter dem Wremer Kirchturm im April 1557. Diesen, den Wurstern
aufgezwungenen Kampf, mußten die Marschbewohner mit den
geübten Söldnern des Obersten Wriesberg austragen. Die
Truppen sollten auf Kosten der Wurster verpflegt werden. Die friesischen
Bauern stimmten dieser Forderung zu, lehnten es aber strikt ab,
die Soldaten ins Land zu lassen. Darauf bestand Wriesberg. Es
kam zum Kampf. Die Wurster Bauern unterlagen. Fünfzig von
ihnen fielen, 300 gerieten in Gefangenschaft. In der Nordwestecke
des Turmes sind später Massengräber gefunden worden.
Wiebalck und Dr. Erich v. Lehe nehmen an, daß die Wurster
nach diesem Kampf auf dem Wremer Friedhof dort ihre Toten beigesetzt
haben.
Glocken, wie in anderen
Wurster Kirchgemeinden, hingen nie im Wremer Kirchturm. Lediglich
die Uhrenschlagglocke verkündete jahrhundertelang und auch
heute noch aus vierzig Meter Höhe, was die Stunde geschlagen
hat. Mehrmals schlug der Blitz ein. Als sich 1689 ein schweres
Gewitter über Wremen entlud, zündete ein Blitz, und
im Nu stand die Spitze in Flammen. Obwohl die gesamte Helmkonstruktion
bis auf den 25 Meter hohen massiven Unterbau niederbrannte, überstanden
Turmhahn und Stundenglocke das Unglück. Schon kurz nach dem
Brand schufen die Handwerker unter Leitung des Baumeisters Andreas
Müller einen barocken Turmabschluß, so wie er bis 1914
bestand. Nach der Wiederherstellung des Turmhelms las man zur
Einweihung am Wetterhahn die folgende selbstbewußte Inschrift:
Den Thurm, so Donner, Blitz und starker Sturm zernichtet,
hat Wrem zur Ehre Gottes itzt wieder aufgerichtet, da sechshundert
man und neunundachtzig zehlt, Wrem bleib ein Zion stäts,
das Gott der Herr erwehlt."
Immer, wenn Spender tief
in die Taschen griffen, und das geschah nicht selten, wurde der
Wetterhahn im Laufe der nächsten Jahrhunderte aus seiner
luftigen Höhe geholt und - vergoldet. So ließ man Hahn
und Kugel beispielsweise 1759 neu vergolden; diese Vergüldung"
geschah auf Kosten der frommen Jungfer Waase Helena Lübbes,
heißt es in den Kirchenakten.
Einen Tag nach Weihnachten
1789 schlug der Blitz wieder ein. Entsetzt sahen die Wremer, wie
ihr Turm zu brennen begann. Plötzlich zuckte ein zweiter
Blitz auf, es krachte fürchterlich. Der Turm wurde nochmals
getroffen und - löschte das Feuer, das der erste Blitz verursacht
hatte.
Dieses Glück im Unglück
wiederholte sich 1817. Der damalige Pastor Einstmann notierte
im 4. Wremer Kirchbuch: 1817, den 7tn Februar Morgens um
halb fünf Uhr hatten wir ein starkes Gewitter. Der erste
Schlag traf unseren Turm, der zweite geleich darauf folgende Schlag
tödtete aber die erste Entzündung wieder. Die Stange,
welche von der Uhr bis an die Schlagglocke geht war in sieben
Stücke zerbrochen."
Mit dem neuen Wetterhahn
von 1817 hatten die Wremer ihren Kummer. Nachdem er zehn Jahre
seine Pflicht getan hatte, erfaßte ihn am 14. Januar 1827
ein kräftiger Windstoß und warf ihn über den Kirchhof
auf ein Hausdach. Ehe er seinen Dienst in luftiger Höhe wieder
aufnehmen sollte, vergaß man natürlich die "Vergüldung"
nicht, hieß es in einer Kirchenakte. Bereits im Jahre 1817
war der stolze Gockel aus Eisen vergoldet worden. Notiz aus den
Kirchenakten: Im Jahre 1817 ist Hahn und Knopf von dem Goldschmied
M... in Lehe im Feuer vergoldet worden, wofür er selber von
den damaligen Kirchenjuraten 100 Keichsthaler erhalten! Doch diese
Vergüldung hielt nicht, sondern war binnen ein Jahr wieder
schwartz!"
Wiederum enttäuscht
waren die Wremer, als ihr Uhrmacher Schmidt den Turmhahn im Sommer
1869 erst versilbert und dann galvanisch vergoldet hat".
Die Kirchenvorsteher Hinrich Eden und Hanke Cappelmann notierten
am 5. August 1885 im Kirchenbuch: Die galvanische Vergoldung
von 1869, wofür der Uhrmacher Schmidt 45 Reichsthaler erhalten,
hat sich garnicht gehalten, kein halbes Jahr!"
Allen fortwährend
einen goldenen Hahn zu präsentieren", wie Pastor Rehm
seinem Sohn Ernst 1909 schrieb, ist eigentlich nur möglich,
wenn ein Technikus eine Tinktur erfindet und den Hahn damit bestreicht,
sodaß er ewig glänzet..." Doch die stets kurzen
goldenen Zeiten" des höchsten Wetterhahns von
Wremen waren plötzlich gezählt, als der Erste Weltkrieg
ausbrach. Im 99. Lebensjahr" wanderte der brave Wettergockkel
in die Metallsammlung des Deutschen Reiches. Der Kaiser brauchte
Metall für Granaten und Bomben.
Die älteren Wremer
schüttelten den Kopf und verstanden die Welt nicht mehr",
so erzählte Pastor Möller einmal, als sie erfuhren,
daß die Regierung 1922 einen Entschädigungsanspruch
für den zwangläufig halbierten Turm erfüllte und
1.350.000 Mark zahlte. Soviel Geld." Nach einem halben Jahr-
es war die Zeit der Inflation in Deutschland - konnte man für
diese Summe nur noch ein altes Wohnzimmer kaufen.
1925, nachdem die Rentenmark
wieder Ordnung in das Finanzwesen des damaligen Deutschen Reiches
gebracht hatte, begann der Aufbau des oberen Turms, der im Herbst
1930 wieder ganz in den Maßen und Formen seines Vorgängers
von 1690 Wremen überragte.
Pastor Johann Möller
sagte bei der Einweihung in etwas abgeänderter Form der Einweihungsverse
von 1689:
Den Turm, den neuen starken Kriegssturm zernichtet, hat
Wremen zur Ehr Gottes jetzt wieder aufgerichtet!"
Aufgeschrieben
von Hein Carstens im Niederdeutschen Heimatblatt der Männer
vom Morgenstern, Nr. 489, September 1990
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